Housing
Schwarzplan

Die Aufgabenstellung fordert kostengünstigen Wohnraum mit Beratungsräumen und angelagerter medizinischer Versorgung für obdachlose und armutsgefährdeten Menschen. Das Grundstück liegt in direkter Nachbarschaft zur Südosttangente (A22) und der ÖBB Ostbahntrasse. Das städtebauliche Leitbild sieht einen massiven Baukörper vor, der in unserer Interpretation für die Aufgabe weder städtebaulich noch räumlich-sozial sinnvoll ist.

Perspektive Neuner Quartier
  • DREI HÄUSER FÜR EIN SELBSTBESTIMMTES LEBEN

Ausgehend von der Prämisse, dass die Nutzer:innen und Bewohner:innen selbstbestimmt leben wollen und jede:r für sich unterschiedliche Bedürfnisse hat, schlagen wir vor, das geforderte Volumen auf drei Häuser rund um einen gemeinsamen Freiraum zu organisieren.

Lageplan

Diese städtebauliche Entscheidung bietet eine Reihe von Vorteilen:

– Die Verteilung der Wohntypen, der sozialen und gemeinschaftlichen Flächen auf drei Häuser wirkt einer Stigmatisierung des Projektes entgegen.

– Der zentrale, öffentlich zugängliche Freiraum erschließt die einzelnen Häuser und wird zum lebendigen Treffpunkt für Begegnung und Austausch. Er ist offen und wird auch von Anrainer:innen und Passanten am Weg zu und vom Tangentenpark genutzt.

– Gleichzeitig ermöglicht diese Konfiguration mit ihren unterschiedlichen Zugängen selbstbestimmte Privatheit und Anonymität, oder Partizipation an der Gemeinschaft.

– Die Integration von Teilen der Gesundheits- und Sozialdienste im Erdgeschoß der drei Häuser ermöglicht eine bessere Orientierung und damit eine überschaubarere und leicht zugängliche Versorgung.

– Die unterschiedliche Adressbildung der drei Solitäre ermöglicht eine intensivere Identifikation der Bewohner:innen und Nutzer:innen mit dem Projekt als ihr (temporäres) Zuhause.

– Die Durchlässigkeit zwischen den Häusern ermöglicht Einblicke und Durchblicke, ohne die Bewohner:innen und Nutzer:innen auszustellen.

– Die Durchwegung ist öffentlich. so ist der Städtebau und die Architektur ein Beitrag, um der Stigmatisierung benachteiligter Gruppen der Gesellschaft entgegenzuwirken.

  • TURM – SCHEIBE – PUNKT

Die Setzung der drei Häuser bildet einen vielseitigen Zwischenraum, aus welchen sich die Häuser mit ihrem individuellen Ausdruck und Charakter entwickeln.

Modulation der Baumassen; Verteilung des Raumprogramms

Bauteil A: Turm

Das höchste Haus im Projekt ist der Turm entlang der Bahntrasse. Er bildet einen markanten städtebaulichen Akzent am Ende des Kempelenparks. Das Gebäude ist strukturell einfach: Im Erdgeschoss liegt das Café als Herzstück der der Einrichtung. Der vorgelagertn Schanigarten dient es als Treffpunkt für das gesamte Grätzl.

Informelle Begegnungen, konsumfreie Bereiche und abtrennbare Bereiche für diskretere Beratungsgespräche erlauben einen niederschwelligen Zugang

Im Sockel des Gebäudes dient das zweistöckige Foyer als zentraler Knotenpunkt, der die öffentlichen Bereiche im Erdgeschoss und die halböffentlichen Beratungsräume im ersten Obergeschoss sowie die Zugangsbereiche der Wohnbereiche miteinander verbindet. Durch klare Sichtverbindungen entsteht eine übersichtliche und einfache Orientierung. Im ersten Stock des Gebäudes finden sich die sozialen Beratungsangebote sowie die angelagerten Büros, die durch die vertikalen Erschließungsschichten räumlich getrennt sind.

Bauteil B: Scheibe

Der östliche Abschluss des Kempelenquartiers (und unseres Projekts) bildet die Scheibe. Im Erdgeschoss dieses Bauteils finden sich die von außen zugänglichen Ordinationsräume für die mobilen Ärzte sowie Gemeinschaftseinrichtungen, wie der Gymnastiksaal, der Medienraum. Das Kinderspielzimmer ist zum Kleinkinder- und Jugendspielplatz im Süden hin orientiert. Die Wohnungen in diesem Bauteil sind kompakte 1-Zimmereinheiten, sowie 3- und 4-Zimmerwohnungen, die überwiegend zum Tangentenpark hin orientiert sind. Das Dach wird als beschattete und begrünte Gemeinschaftsterrasse für die Hausgemeinschaft realisiert.

Bauteil C: Punkt

Von der Quellenstrasse kommend ist der Punkt der barrierefreie Eingang in das Neuner Quartier. Im Erdgeschoss findet sich der von aussen zugängliche Peer Campus, die Waschküche sowie direkt am Platz ein Greissler. Der Punkt ist das Familienhaus. In den 8 Obergeschossen finden sich die 3- und 4 Zimmereinheiten, die jeweils mit einer 1-Zimmereinheit optional erweitert werden können. Eine großzügige, durchgängig beschattete Dachterrasse bietet der Hausgemeinschaft einen intimen Freiraum mit hoher Aufenthaltsqualität.

Grundriss Erdgeschos, Grundriss Regelgeschoss #1
  • FINESTRA ABITATA

Wir wollen die hohen Schallschutzanforderungen am Bauplatz, den Anspruch an individuellen Freiraum und die stringente Ökonomie der Mittel nutzen, um daraus etwas Positives, nämlich einen Mehrwert für alle zu schaffen.

Ein einfaches und cleveres architektonisches Element, wir nennen es die finestra abitata, eine Art bewohnbares Kastenfenster ersetzt Balkone oder Loggias komplett. Es ist ein System, das ohne hochtechnologische Glasscheiben oder ähnliches auskommt und als serielles Objekt in allen drei Bauteilen eingesetzt wird.

Es gewährleistet den höchstmöglichen Schallschutz durch ein zweischaliges System. Zudem bietet es den höchsten thermischen Komfort in der Heizperiode durch ihre Pufferfunktion. Die Belüftung ist im Sommer durch das Öffnen der äußeren Schicht und im Winder durch statische Lüfter garantiert.

Statt eines Balkones wird in der massiv durch Lärm beeinträchtigten Lage ein begehbares Kastenfenster vorgeschlagen.
  • VIELFÄLTIGES WOHNEN

In der Konzipierung der Wohneinheiten war es das Ziel einen hohen Nutzwert in der Grundrisskonfiguration bei gleichzeitiger großer Kompaktheit zu erzielen:

Die (Familien)Wohnungen im Punkt sind durchgehend so organisiert, dass durch einfache bauliche Maßnahmen eine 3-Zimmer Wohnung zu einer 4-Zimmer Wohnung und eine 4-Zimmer Wohnung zu einer 5-Zimmerwohnung werden kann. In anderen Worten bieten die großen Wohnungen in ihrer normalen Nutzung zwei unterschiedlich interpretierbare Wohnräume, die sich von der zentral situierten Küche aus aufweiten. In bestimmten Lebenssituationen können diese Konfigurationen aber auch adaptiert werden und ein Wohnzimmer als abtgetrenntes Zimmer genutzt werden.

Jede Wohneinheit hat eine Finestra Abitata, die wir als Ersatz zu individuellen Freiräumen im konventionellen Wohnungsbau verstehen (siehe Finestra Abitata).

Perspektive vom zukünftigen "Kempelenpark" aus gesehen

Nicht offener Architekturwettbewerb
"Wien 10., Am Kempelenpark, Planungsfeld 4"
2023

in Kooperation mit:
FELD 72 Architekten ZT GmbH

Team
Peter Zoderer, Anne-Catherine Fleith, Andreas Rumpfhuber mit Marek Nowicki, Phillip Stützner, Beatrice Osman, Marcel Plattner, Lukas Hertwig, Marino Fei, Julia Vogel.

Tragwerkskonzept: Werkraum Ingenieure ZT GmbH - Peter Bauer
Bauphysik: GH Bauphysik GmbH - Felix Heisinger
Soziologin: Sonja Gruber
Brandschutz: Sven Mayer-Schwieger
Visualisierung: Janusch
Modellbau: Mattweiss