Performative Intervention
Axonometrie "Wunschmaschine Wohnanlage"

Die Wunschmaschine Wohnanlage ist der Vorschlag, die monofunktionalen Wohnquartiere der 1950er- bis 1980er-Jahre durch eine funktional durchmischte Bebauung zu beleben und die Quartiere als selbst organisierte Stadtteilzentren zu etablieren. Der Fokus liegt auf der Umdeutung, Strukturierung und Aktivierung der Zwischenräume der Anlagen mit dem Ziel, die inhärenten Qualitäten der Quartiere zu stärken sowie die einer vergangenen Zeit, ihrer Ökonomie und ihrer heute überkommenen Idee von Stadt geschuldeten Defizite zu korrigieren. 

Die städtebaulichen und architektonischen Eingriffe sowie die programmatischen Vorschläge wiederholen dabei Bestehendes. In der Wiederholung wird eine Differenz manifest, die sich in Relation zu einer zeitgenössischen Ökonomie, der Ökologiedebatte und des urbanen Zusammenlebens aufspannt. 

Axonometrie Bestandsanlagen & Wunschmaschine

Der Entwurf „Wunschmaschine Wohnanlage“ ist in vier Paragrafen unterteilt. Jeder Paragraf ist eine in sich abgeschlossene Sinneinheit und wird in der exemplarischen Ausarbeitung der Wunschmaschine mit den anderen Paragrafen in Verbindung gebracht. Die vier Paragrafen sind nicht in einer logisch anzuwendenden Reihenfolge konzipiert, sondern müssen gleichzeitig gedacht werden. 

§1 schlägt eine „Software“ für die Errichtung und den Betrieb der Wunschmaschine vor. Wie im Analyseteil weiter oben festgestellt wurde, haben die Bestandsbauten eine immanente Qualität, die im derzeitigen Diskurs ausgeklammert wird und sich ursächlich auf die Form, wie die Anlagen gelebt werden, bezieht. Die Software bezieht sich auf das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz und fordert seine Ausweitung. Eine gemeinnützige Genossenschaft, die programmatisch Wohnen und Arbeiten zusammendenkt, entspricht einer zeitgenössischen gesellschaftlichen Organisation und ermöglicht die Partizipation für eine breite Schicht der Bevölkerung. Wichtig dabei ist auch, dass die Grundstücke der Wohnquartiere im Eigentum der Stadt Wien nicht filetiert werden, sondern als Einheit im Eigentum der Gesellschaft erhalten werden.

Prinzipien des Städtebaus der Wunschmaschine

§2 schlägt ein städtebauliches Prinzip vor, das sich auf nahezu alle untersuchten Anlagen anwenden lässt. Der Fokus der städtebaulichen Intervention ist der Zwischenraum der Anlagen, der sich in seiner derzeitigen Form nur als überdimensionales Abstandsgrün und Distanzraum manifestiert, jedoch gleichzeitig die herausragende Virtualität der Anlagen darstellt. Das Prinzip nimmt Anleihen an der Mengenlehre und definiert ein mathematisch beschreibbares, formales System der Weiterentwicklung und Nachverdichtung der Anlagen. Es überlagert sich mit dem Bestand. Es wiederholt dabei die Bestandsbebauung in einer anderen Form und Figuration und beschreibt Zonen einer möglichen Intervention. Das formale Prinzip ist jedoch unterdeterminiert und schlussendlich nur die rhythmische Rahmung für einen ergebnisoffenen Prozess der Teilhabe und Selbstorganisation. 

Variablen der Nachverdichtung

§3 ist die Forderung der Ökologie der funktionalen Durchmischung der Wunschmaschine. Die der ökonomischen Logik und der Bauindustrie geschuldete Spezialisierung von Immobilien ist ökologisch wie auch volkswirtschaftlich betrachtet unsinnig. Der Nutzungskoeffizient eines Gebäudes ist der blinde Fleck einer von der Wirtschaft diktierten Nachhaltigkeitsdebatte und stellt gleichzeitig den Hebel dar, um mit einem Ökologieargument zeitgemäße Typologien zu denken, die sich jenseits des modernen Diktums der funktionalen Ausdifferenzierung verorten. Solche Typologien nehmen Anleihen an vorkapitalistischen Haus- und Stadtorganisationen, die auf der Ausverhandlung des gemeinschaftlichen Lebens fußen.

Gemeinschafts- und Wohnungserweiterungstypen in der Wunschmaschine

§4 schlägt eine andere Wohnraumverteilung innerhalb des bestehenden Wohnbausystems vor. Das dynamische Wohnen und Arbeiten löst sich von der modernistischen Logik der notwendigen Einheit des Wohnungsverbunds, ohne den privaten Rückzugsraum der Wohnung in Frage zu stellen. Anhand von statistischen Auswertungen wird ein Modell vorgeschlagen, das aus Ein- und Dreizimmerwohnungen sowie einem neuen Universaltypus X und im Haus verteilten Gemeinschaftsräumen besteht. Der Universaltypus X sowie die Gemeinschaftsräume sind für Wohnen und Arbeiten gleichermaßen qualifiziert. Der Universaltypus X ermöglicht dabei, als strategischer „Leerstand“ dynamisch unterschiedliche Lebens- und Arbeitssituationen abzubilden. Der Typ X kann kurz-, mittel- und langfristig angemietet werden. Er ist zum Beispiel Wohnraum für einen Pflegefall in der Familie, Arbeitsraum für ein zeitlich limitiertes Projekt, Wohnraum für einen Teenager in der Nähe der Wohnung der Eltern oder für Flüchtlinge und Migrant/inn/en.

Klassische Wohnraumverteilung mit Wohntypen A-C vs. einer Wohnraumverteilung mit Typ X und Gemeinschaftsräumen

Der Entwurf Wunschmaschine Wohnanlage zielt darauf ab, die Wohnanlagen mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. In der Wiederholung wird im rigiden Takt der Großwohnanlagen ein Rhythmus eingeführt. Der neue Rhythmus bildet den Rahmen für ein selbst organisiertes Zusammenleben und eine emanzipatorische gesellschaftliche Praxis. Eine Szene aus dem Film „Die Blechtrommel“ (Schlöndorff 1979) veranschaulicht die methodische Idee und Herangehensweise des Entwurfs: Während einer Massenveranstaltung der Nazis in Danzig klettert der kleine Oskar unter die aus Holz errichtete Bühne und betrachtet die steife Szenerie durch ein Astloch. Menschenmassen jubeln den Nazis zu. Ein hoher Militär wird angekündigt und fährt im Auto vor. Hakenkreuzfahnen werden geschwenkt. Die rechte Hand zum Hitlergruß ausgestreckt. Die Militärkapelle beginnt zu spielen: Trompeten, Trommeln, Querflöten und Klarinetten spielen im strengen Takt. Der General und seine Begleiter gehen im Gleichschritt auf die Bühne. Oskar beginnt mit seiner Trommel einen anderen Rhythmus zu spielen. Nach und nach verschiebt sich der Takt der Militärkapelle, ein Trompeter beginnt ein Solo und die Melodie eines Walzers wird langsam erkennbar. Die zum Hitlergruß ausgestreckten Arme beginnen zuerst langsam zu schaukeln. Dann beginnen die Menschen Walzer zu tanzen. Aus der militärischen Kundgebung wird ein Volksfest. 

Die Wunschmaschine ist in diesem Sinne der Versuch, mit den Mitteln der Architektur einen anderen Rhythmus für die Wohnquartiere vorzuschlagen und damit den Wohnungsbau, das Instrument der Normalisierung und Ordnung nach bestimmten von oben herab gesetzten Vorstellungen, zumindest ein Stück weit zu unterwandern.

  • 2014-2016
    Studie im Rahmen des Roland Rainer Forschungsstipendiums der Stadt Wien

  • Siehe auch: Wunschmaschine Wohnanlage, Eine Studie zur funktionalen Nachverdichtung von 46 Wohnanlagen der Stadt Wien, Verlag Sonderzahl, Wien, 2016

  • Mitarbeit: Daniela Mehlich, Teresa Klestorfer