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Entgegen dem Diktum vom Ende der Arbeit, ja sogar trotz diverser Modelle realisierbarer Utopien wie der 20-Stunden-Woche oder der Grundsicherung dreht sich das Leben in unseren Gesellschaften weiterhin um Arbeit. Vor allem in den westlichen Industrienationen wird die Sphäre der Arbeit seit den 1960er Jahren zunehmend diffus.[1] Sie durchdringt alle Bereiche menschlicher Tätigkeiten, Arbeitszeit wird mit Freizeit vermischt, Aus- bzw. Weiterbildung und Arbeit im engeren Sinn werden zunehmend ununterscheidbar, Privatleben und Vita activa vermengen sich. Mit ihren organisatorischen und juristischen Konstruktionen und einhergehend mit populären (neoliberalen) Diskursen werden unter dem Druck des Imperativs globalen Kapitals bestehendes Arbeitsrecht sowie Pensions- und Versicherungswesen radikal in Frage gestellt und aggressiv umstrukturiert. Das ehemalige Prinzip der Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit von Arbeitsprozessen sowie der funktional eindeutigen Zuschreibung von Produktionsräumen löst sich mit den aktuellen Arbeitsorganisationen dieser diffundierenden, sich immaterialisierenden Arbeit auf. Die Produktionsmodi und Produktionsmittel bedingen heute nicht zuletzt andere arbeitsräumliche Figurationen, die sich permanent neu und in noch beispiellosen Formationen manifestieren. Den räumlichen Organisationen dieser zunehmend immateriell werdenden Arbeit widmet sich dieses Buch.

Der Titel des vorliegenden Buches ist die Hypothese meiner Untersuchungen. Sie lässt sich durch folgende Leitfragen explizieren: Finden sich mit der heute in den westlichen Industrienationen dominierenden kulturellen Praxis der immateriellen Arbeit auch neue Formen und Ordnungen der Architektur? Aus welchen Kräften wird sie zusammengesetzt? Wie wird sie diskursiv konstruiert und produziert? Welche Formen nimmt sie an? Welche Räume produziert sie? Oder verschwindet mit den klar definierten Räumen der Fabrik auch die Arbeitsarchitektur im Allgemeinen? Als Mittel der Subjektivierung und als Teil der Organisation und Repräsentation von Produktionsprozessen stellt Arbeitsarchitektur einen Gegenstand dar, der direkt an die disparaten Formen des Kapitalismus angeschlossen ist. In ihren herausragenden Beispielen kristallisieren sich die vorherrschenden Diskursformationen: die Vorstellungen, wie Menschen sich versammeln, wie Menschen produktiv gemacht werden können und wie man die Versammlung von Menschen kontrolliert und steuert. 

Der räumliche Aspekt einer allseits in der Gesellschaft aufgehenden Produktionsform, die keiner herkömmlichen Fertigung von physischen Erzeugnissen entspricht, sondern sich über Kommunikation definiert, die nicht mehr ausschließlich in einem monofunktionalen Container stattfindet, wie es noch das Konzept der funktionalen Stadt des CIAM vorsieht, sondern sich gleichermaßen überall in unseren urbanen Agglomerationen verteilt, eröffnet die Problematik einer Architektur immaterieller Arbeit. Die sich daraus ergebende Fragestellung spannt sich im Kräftefeld des politischen Konzepts der immateriellen Arbeit auf und fragt nach den Produktionen der Architektur, die im Paradox einer allgemeinen Arbeitsarchitektur gefangen sind: Jede postulierte Besserung hin zu mehr Leben, jede sich vom Kapitalismus und der Arbeit emanzipierende Bewegung hin zu mehr Freiheit und Emanzipation ist bereits innerhalb des vorherrschenden Diskurses, in unserem Falle des kapitalistischen Systems, funktionalisiert. 

So muss man auch fragen, ob Architektur immaterieller Arbeit bloß das Erscheinen der Arbeiter und Arbeiterinnen in einem Produktionsraum als geordnetem Innenraum darstellt, der streng durch die Entlohnung der Arbeit definiert ist. Designt also die Architektur, mit den Worten des Philosophen Jacques Rancière, die »Gestaltung der Beschäftigungen und der Eigenschaften der Räume, auf die diese Beschäftigungen verteilt sind«[2]? Oder ordnet die Praxis der Architektur »die Verhältnisse, die den Arbeitsplatz bestimmen, in seinem Verhältnis zur Gemeinschaft neu«[3]? Sind die Architekten und Designerinnen also Berater, Animateure und Agentinnen der kapitalistischen Ordnung, oder wirken sie mit den Mitteln der Architektur auf die gewohnten Ordnungen und Verteilungen ein und verändern damit den Status ebendieser? Kann die Architektur also neue Verbindungen und Verhältnisse herstellen, die vorher noch nicht existiert haben. 

Gerade weil Architektur direkt an den politischen, sozialen, gesellschaftlichen Diskurs angeschlossen ist und durch eine Vielzahl von Diskursen bestimmt wird, will ich in diesem Buch eine Analyse der verschiedenen Rahmenbedingungen, in denen Architektur, aber auch wir als arbeitende Subjekte produziert werden, in Relation zu den Formen und Figurationen der Architektur vorschlagen und hoffe so, die ihr immanenten Konfliktfelder und Fiktionen aufzuzeigen. Damit kann eine Praxis der Architektur sichtbar gemacht werden, die sich und ihre Mittel in einem gesellschaftlichen Prozess ernst nimmt, sich im gesellschaftlichen und politischen Prozess engagiert, ohne dem romantischen Mythos des Künstler-/Architektengenies anheimzufallen oder gar in eine Art architektonischen Fundamentalismus zu verfallen, der das Symbolische und das Reale gleichstellt[4], also die Zeichnung selbst als Architektur versteht und nicht als Mittel und Werkzeug einer Praxis. Entgegen der vorherrschenden Idee von der Radikalität der Architektur also, die sich ausschließlich auf die Produktion neuer ästhetischer Formen konzentriert und die der US-amerikanische Architekturtheoretiker Jeffrey Kipnis als Architektur der Deformation bezeichnet,[5] engagieren sich emanzipierte Architektinnen und Architekten in einer affirmativen Reflexion über die vorherrschenden Kräfte, die den jeweils aktuellen Diskurs prägen.

Im vorliegenden Buch konzentriere ich mich genau auf den Zeitpunkt, den die (post-)operaistische und auch postmoderne Literatur immer wieder als den Moment der Veränderung markieren. So bespreche ich fast ausschließlich Beispiele, die jeweils um das Jahr 1969 herum entstanden und dennoch verschiedene Aspekte einer Architektur immaterieller Arbeit exemplifizieren. Diese signifikanten Beispiele von Arbeitsarchitekturen der 1960er Jahre spannen sich im oben erläuterten gesellschaftlichen Diskursfeld rund um Automation und Freizeitgesellschaft auf und erlauben so, die Konturen einer Architektur zu analysieren und zu erkennen, die die Tendenz veränderter Produktionsmodi und Arbeitsbedingungen einer wertschöpfenden, immateriellen Tätigkeit im Augenblick des Entstehens modellhaft sichtbar macht. Teils reaktiv, teils im Blick auf eine heute gut absehbare Entwicklung sind die Projekte prophetisch und problematisieren die schier unendliche Ausdehnung (zeitlich und räumlich) des Arbeitsplatzes in der Gesellschaft und die Modi der Versammlung und des Zusammenseins der Subjekte, die innerhalb des extensiven distributed workplace[6] an Maschinen und Automaten angeschlossen sind.

Diese doppelte Problematik nehme ich in den beiden Teilen des Buches auf. Im ersten Teil gehe ich auf die Mobilisierungder vormals geschlossenen Produktionsräume ein. Anhand der weltweit ersten realisierten Bürolandschaft Buch und Tonfür den Bertelsmann-Konzern, ihrer architektonischen Antithese, des Bürobaus für die niederländische Versicherungsanstalt Centraal Beheer, und des emanzipatorisch konzipierten Freizeitprojekts Fun Palace bespreche ich die Versuche, einer neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Theorie nach dem Zweiten Weltkrieg – der Kybernetik – eine (architektonische) Form und Organisation zu geben, und zeige die räumlichen Konsequenzen dieser Bemühungen auf. Im zweiten Teil diskutiere ich Strategien des Einrichtens: Das experimentelle Architekturprojekt Mobile Office, die Performance Bed-in und das Freizeitprojekt Gelbes Herz stehen dabei für verschiedene Strategien, mit einer neuen Lebenskonzeption und ihren räumlichen Bedingungen umzugehen. Zur gleichen Zeit formulieren die drei Projekte auf unterschiedliche Weise eine architektonische Praxis, die dem Konzept von Arbeit, die mit Leben konvergiert und sich in der Gesellschaft verteilt, genügt. 

Es sind hybride Beispiele, die parallel zu den und angeschlossen an die Emanzipationsbewegungen der 1960er Jahre beinahe gleichzeitig entstehen. Jedes der Beispiele umschließt auf eigentümliche Art und Weise eine Versammlung von Menschen, konstituiert einen geordneten und kontrollierten Innenraum und organisiert und markiert einen Raum der Produktion. Als signifikante Modelle veranschaulichen sie, wie sich die Arbeit in der gesellschaftlichen Fabrik darstellen lässt und welche Möglichkeiten die Architekten, die Künstlerinnen und ihre Teams ersinnen, um mit dem neuen Arbeitsparadigma mit den Mitteln der Architektur umzugehen. In der Bewegung hin zur immateriellen Arbeit erfahren die Räume der Produktion dabei eine Reihe von Konvergenzen: Mensch und Maschine, Haus und Stadt, Leben und Arbeiten sowie Kunst und Commercial.

  • Architektur immaterieller Arbeit
    Turia & Kant, Wien: 2013
    Based on my PhD Dissertation (2009) with the same title

  • Download Open Access Version @OAPEN LIBRARY
    Graphik Design: Astrid Seme

  • REFERENZEN

  • [1] Vgl. u. a.: Yann Moulier Boutang: Vorwort, in: Thomas Atzert (Hg.): Toni Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno: Umherschweifende Produzenten, ID Verlag: Berlin 1998; Luc Boltanski, Ève Chiapello: Die Arbeit der Kritik und der normative Wandel, in: Christoph Menke, Juliane Rebentisch (Hg.): Kreation und Depression. Freiheit im Gegenwärtigen Kapitalismus, Kulturverlag Kadmos: Berlin 2011, S. 18–37, hier: S. 25.

  • [2] Jacques Rancière: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Suhrkamp: Frankfurt am Main 2002 (franz. Original: 1995), S. 41.

  • [3] Ebd., S. 44.

  • [4] Vgl. Slavoj Žižek: Parallaxe, Suhrkamp: Frankfurt am Main 2006, S. 413.

  • [5] Jeffrey Kipnis: Towards a New Architecture, AD: Folding and Pliancy, Academy Editions: London 1993, S. 44.

  • [6] Vgl. Andrew Harrison, Paul Wheeler, Carolyn Whitehead: The Distributed Workplace, Spon Press, Taylor & Francis Group: London–New York 2004. Auch wenn sich der Begriff des distributed workplace als Umschreibung des Phänomens eines sich ausbreitenden und ausweitenden Arbeitsplatzes wunderbar anbietet, wird in dieser Publikation, wie auch im allgemeinen Arbeitsplatzdiskurs, immer noch suggeriert, dass der Produktionsraum eine abgeschlossene Sphäre sei, die man mit allgemeingültigen Typologien wie dem DEN, dem HIVE, dem CLUB und der CELL erklären kann. Der Verdacht drängt sich auf, dass sich eine derartige Sichtweise ausschließlich aus einer Logik des Real Estate heraus erklärt.